Infraschall und Windkrafträder

Auszüge aus dem Original: 

Health effects and wind turbines: A review of the literature

Knopper, L. D., & Ollson, C. A.

Quelle: Environmental Health Journal: www.ehjournal.net/content/pdf/1476-069X-10-78.pdf

Background: Wind power has been harnessed as a source of power around the world. Debate is ongoing with respect to the relationship between reported health effects and wind turbines, specifically in terms of audible and inaudible noise. As a result, minimum setback distances have been established world-wide to reduce or avoid potential complaints from, or potential effects to, people living in proximity to wind turbines. People interested in this debate turn to two sources of information to make informed decisions: scientific peer-reviewed studies published in scientific journals and the popular literature and internet.

sinngemäße Übersetzung durch JL:

Hintergrund: Windkraft wird weltweit als erneuerbare Energiequelle genutzt. Mit Verbreitung der Windenergie häufen sich die Berichte von gesundheitlichen Beschwerden, die mit Windrädern in Verbindung gebracht werden. Diese beziehen sich besonders auf den wahrnehmbaren und nicht-wahrnehmbaren Schall. Weltweit wurden daher Minimalabstände zwischen Windrädern und der unmittelbaren Nachbarschaft eingeführt, um mögliche Beschwerden zu verhindern oder zu reduzieren.
In dieser Debatte stehen Interessierten zwei Informationsquellen zur Verfügung: Zum einen gibt es die wissenschaftliche, von Experten geprüfte Literatur in wissenschaftlichen Zeitschriften. Zum anderen sind Populär-Literatur und Internetquellen leicht verfügbar.

Methods: The purpose of this paper is to review the peer-reviewed scientific literature, government agency reports, and the most prominent information found in the popular literature. Combinations of key words were entered into the Thomson Reuters Web of KnowledgeSM and the internet search engine Google. The review was conducted in
the spirit of the evaluation process outlined in the Cochrane Handbook for Systematic Reviews of Interventions.

sinngemäße Übersetzung durch JL:

Methoden: Ziel des Aufsatzes ist es, eine Übersicht über wissenschaftliche Artikel, Berichte aus Behörden und über populäre Schriften zum Thema zu erstellen. Dazu wurden Suchwortkombinationen in die Suchmaschine Google und in die wissenschaftliche Datenbank „Thomson Reuters Web of Knowledge“ eingegeben. Bei der Bewertung der Literatur legten die Autoren die strengen methodischen Regeln der Cochrane Collaboration an.

Results: Conclusions of the peer reviewed literature differ in some ways from those in the popular literature. In peer reviewed studies, wind turbine annoyance has been statistically associated with wind turbine noise, but found to be more strongly related to visual impact, attitude to wind turbines and sensitivity to noise. To date, no peer reviewed articles demonstrate a direct causal link between people living in proximity to modern wind turbines, the noise they emit and resulting physiological health effects. If anything, reported health effects are likely attributed to a number of environmental stressors that result in an annoyed/stressed state in a segment of the population. In the popular literature, self-reported health outcomes are related to distance from turbines and the claim is made that infrasound is the causative factor for the reported effects, even though sound pressure levels are not measured.

sinngemäße Übersetzung durch JL:

Ergebnisse: Die Fazits der wissenschaftlichen Literatur unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von denen der Populärliteratur. In der geprüften, wissenschaftlichen Literatur zeigt sich, dass sich vor allem die Personen belästigt fühlen, die gegenüber Windanlagen generell kritisch eingestellt sind. Zudem beeinflusst eine individuelle Geräuschempfindlichkeit das Wohlbefinden. Die berichteten Beschwerden beziehen sich vor allem auf den visuellen Eindruck und eine Geräuschbelästigung.

Bis heute kann keine von Fachleuten geprüfte wissenschaftliche Studie einen unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen den genannten körperlichen Beschwerden und der Anwesenheit von Windrädern in der Nähe der Betroffenen nachweisen.

In der Populärliteratur werden selbst berichtete Gesundheitsbeschwerden mit den Entfernungen zu den jeweiligen Windparks in Verbindung gebracht. Hauptsächlich wird der sogenannte Infraschall als auslösender Faktor für die Symptome verantwortlich gemacht, auch wenn entsprechende Schalldruckpegel nicht gemessen werden konnten.

Conclusions: What both types of studies have in common is the conclusion that wind turbines can be a source of annoyance for some people. The difference between both types is the reason for annoyance. While it is acknowledged that noise from wind turbines can be annoying to some and associated with some reported health effects (e.g., sleep disturbance), especially when found at sound pressure levels greater than 40 db(A), given that annoyance appears to be more strongly related to visual cues and attitude than to noise itself, self reported health effects of people living near wind turbines are more likely attributed to physical manifestation from an annoyed state than from wind turbines themselves. In other words, it appears that it is the change in the environment that is associated with reported health effects and not a turbine-specific variable like audible noise or infrasound. Regardless of its cause, a certain level of annoyance in a population can be expected (as with any number of projects that change the local environment) and the acceptable level is a policy decision to be made by elected officials and their government representatives where the benefits of wind power are weighted against their cons. Assessing the effects of wind turbines on human health is an emerging field and conducting further research into the effects of wind turbines (and environmental changes) on human health, emotional and physical, is warranted.

sinngemäße Übersetzung durch JL:

Schlussfolgerung: Beide Informationsquellen zeigen, dass Windräder eine Belastung für die Anwohner sein können. Jedoch stellen wissenschaftliche und populäre Quellen unterschiedliche Ursachen für die Beschwerden fest. Die wissenschaftlichen Arbeiten berichten mehrheitlich von psychischen Ursachen, die bei den Betroffenen auch körperliche Symptome wie Schlaflosigkeit zu Folge haben können. Die Populärliteratur hingegen zieht eine direkte Linie zwischen Windkraftanlagen und körperlichen Beschwerden.

Der Artikel von Knopper & Ollson zeigt ein Problem auf, das allgemein die Umweltmedizin beherrscht: wissenschaftliche Studien und Veröffentlichungen in der Populärliteratur kommen häufig zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen und damit zu ungleichen Bewertungen von Ursachen körperlicher Symptome.

Da Populärliteratur für die meisten Menschen leichter zugänglich und oft auch verständlicher geschrieben ist, führen die unterschiedlichen Aussagen zu großen Unsicherheiten, aber auch Falschinformationen in der Öffentlichkeit.

Von Betroffenen werden im Zusammenhang mit Umwelteinflüssen solche Symptome wie Abgeschlagenheit, Luftnot, Schwindel, Übelkeit, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen relativ häufig genannt. In wissenschaftlich fundierten Untersuchungen offenbart sich vielfach, dass diese Symptome jedoch nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem vermeintlichen umweltmedizinischen Auslöser stehen. In den publizierten Fallberichten Betroffener wird das oftmals anders gesehen. 

Diese Sachlage findet sich auch beim Thema "Gesundheit und Windkrafträder".

In dem hier besprochenen Artikel von Knopper & Ollson konnten die Autoren keinen Beweis für einen Zusammenhang zwischen Windrädern und den beschriebenen Beschwerden finden.

Die beim RKI angesiedelte Kommission „Methoden und Qualitätssicherung in der Umweltmedizin“kommt allerdings zu dem Schluss, dass Infraschall und tieffrequenter Schall in Experimenten durchaus zu Beschwerden führen können (Hornberg & Malsch, 2007). Die beschriebenen Symptome reichen von Ohrendruck und Vibrationen über Unsicherheitsgefühl zu Konzentrationsstörungen und Ermüdungserscheinungen.

Die RKI-Kommission zeigt einen wichtigen Aspekt auf: es gibt Menschen, die besonders aufmerksam und sensibel auf tieffrequenten Schall reagieren. Die Betroffenen leiden an einer Zwangsaufmerksamkeit, aufgrund derer sie sich ständig auf diesen tieffrequenten Ton konzentrieren müssen. Dieses Phänomen zeigt sich auch in dem Artikel von Knopper & Ollson und ist in der Umweltmedizin ein nicht zu vernachlässigender Faktor.

Nachtrag im August 2022: eine weitere Dimension der Wissenschaftskommunikation ist kürzlich im Zusammenhang mit Windkrafträdern und Infraschall bekannt geworden. Gemeint ist die fachliche Auseinandersetzung zwischen Behörde(n) und forschenden Wissenschaftlern. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften (BGR) hatte vor mehr als 15 Jahren eine Studie zu Infraschall-Emissionen von Windkraftanlagen veröffentlicht, deren Daten von Windkraftgegnern dazu genutzt wurden, auf (vermutete) Gesundheitsgefahren hinzuweisen. Vor zwei Jahren fand ein Bayreuther Umweltwissenschaftler heraus, dass die Modellrechnung des BGR Fehler enthielt, so dass die Immissionen 4 000-fach überschätzt wurden. Nach Fehlerkorrektur stimmten die Ergebnisse der Modellrechnungen dann mit den (Mess-)Daten des Wissenschaftlers überein. Die Behörde (hier: BGR) benötigte längere Zeit, ihren Fehler einzugestehen...  (nachzulesen in: DIE ZEIT vom 18. August 2022, S.32).

Neben der Forschung und Gewinnung neuer Erkenntnisse ist es eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft, ihre Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit in verständlicher Weise zugänglich zu machen. ALLUM will hierzu beitragen.

Literatur: 

Hornberg, C., & Malsch, A. K. (2007). Infraschall und tieffrequenter Schall – ein Thema für den umweltbezogenen Gesundheitsschutz in Deutschland? Mitteilung der Kommission „Methoden und Qualitätssicherung in der Umweltmedizin“. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz , 50 (12), 1582-1589.

Knopper, L. D., & Ollson, C. A. (2011, September 14). Health effects and wind turbines: A review of the literature. Abgerufen am 9. Dezember 2011 vom Environmental Health Journal: http://www.ehjournal.net/content/pdf/1476-069X-10-78.pdf

Veröffentlicht: 12. Dezember 2011 - 0:00 Uhr

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