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Relevante Lärmquellen und ihre Einflüsse auf die Kindergesundheit
Verkehrslärm (Straße, Schiene, Flug)
In der Lärmbilanz von 2010 stellte das Umweltbundesamt fest, dass sich 55 % der Bevölkerung vom Straßenverkehr gestört fühlen. Weitere 29 % beklagen sich über Fluglärm und 22 % über Schienenverkehr. Als weitere Lärmquellen werden Industrie-, Freizeit- und Nachbarschaftslärm genannt. Hieran werden die komplexen verkehrsbedingten Lärmwirkungen auf die Gesundheit deutlich.
Viele physiologische Veränderungen beeinflussen sich wechselseitig und können sich z.T. auch verstärken.
Anders als etwa in der Arbeitsmedizin oder bei Freizeitaktivitäten (Musik, Diskobesuch) spielt hier die Gefahr einer Hörschädigung kaum eine Rolle, da man es mit deutlich niedrigeren Schallpegeln zu tun hat. Dafür sind die psychische Belastung, der Ärger über die unerwünschte Ruhestörung, die Beeinträchtigung der Wohnumwelt, das Eindringen von Lärm in den Erholungsraum und die Störung des Schlafes in diesem Kontext viel wichtiger (siehe unten: “Zusätzliche Informationen”).
Untersuchungen zur Dosis-Wirkungsbeziehung haben gezeigt, dass bei gleichem Schallpegel die Belästigung stark von der Art der Lärmquelle abhängt, zumindest in der Gruppe, die sich als besonders lärmempfindlich bezeichnet.
Fluglärm wurde als besonders störend empfunden, gefolgt von Straßenverkehrslärm und dem Schienenverkehr (Miedema und Oudshoorn, 2001).
Der von Windkraftanlagen ausgehende Schall wirkt gleichfalls stärker belästigend als andere Lärmquellen mit gleichem Schallpegel (Twardella 2013, Vortrag auf dem GHUP-Kongress in Berlin). Das kann mit dem geringeren Basis-Lärmpegel in ländlichen Gebieten und damit mit einer verstärkten Wahrnehmung zu tun haben, möglicherweise auch mit dem Anschwellen/Abschwellen des Lärmpegels von Windkraftanlagen.
Der Interdisziplinäre Arbeitskreis für Lärmwirkungsfragen beim Umweltbundesamt empfiehlt, nächtliche Dauerschallpegel am Ohr von Schlafenden zu vermeiden, die über 30 dB(A) liegen, ebenso wie Maximalpegel von mehr als 40 dB(A).
Belästigung durch Lärm
Vor allem werden Störungen bei der Kommunikation, Beeinträchtigung von Erholung und Entspannung, Herabsetzung des psychischen und körperlichen Wohlbefindens und der Leistungsfähigkeit beklagt. Derartige Veränderungen, die zu Ärger, Wut und Unzufriedenheit führen, können zusammen mit resultierenden physiologischen Veränderungen (Anstieg von Stresshormonen) die Basis für eine gesundheitliche Gefährdung oder Beeinträchtigung sein.
Schlafstörungen durch Lärm
Unter Schlaflaborbedingungen führen kontinuierliche Geräusche von über 40 dB(A) zu verzögertem Einschlafen, verringerter Schlaftiefe, verkürzten Traumschlafzeiten, verlängerten Wachzeiten und Verschlechterung der subjektiven Schlafqualität und der morgendlichen Leistungsfähigkeit. Lärmbedingte Aufwachreaktionen (Arousals) sind unphysiologisch und bedeuten langfristig ein Gesundheitsrisiko.
Herz-Kreislauf-Krankheiten
Lärm wirkt in vielfältiger Weise auf das Herz-Kreislauf-System ein. Bei einer Lärmbelastung kann es zu Stressreaktionen kommen, die Körperfunktionen (wie z. B. die Herztätigkeit) beeinflussen können.
Die Hypothese, dass Verkehrslärm ischämische Herz-Kreislauf-Krankheiten (Herzinfarkt, Schlaganfall) auslösen könnte, beruht im wesentlichen auf epidemiologischen Untersuchungen: solche Krankheiten treten häufiger auf in Gebieten mit erhöhter Verkehrslärm-Belastung. Allerdings erreichen nur wenige Studien mit ihren Ergebnissen ein statistisches Signifikanzniveau, und es gibt auch gegenteilige Einschätzungen. Trotzdem wird die wissenschaftliche Evidenz für den Nachweis eines Kausalzusammenhanges vielfach für hinreichend angesehen. Das kommt auch in der Literaturstudie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2006 zum Ausdruck. Ihr Fazit: Ab einer verkehrsbedingten Lärmbelastung von 60 dB(A) und erst recht oberhalb von 65 dB(A) am Tag steigt das Herzinfarktrisiko deutlich an. Das UBA spricht von 4 000 Herzinfarkten jährlich, die auf Straßenverkehrslärm zurückzuführen sind.
Unterstützt wird diese Einschätzung durch die Schweizer nationale Kohortenstudie, wonach Menschen, die mindestens 15 Jahre Fluglärm von 60 dB und mehr ausgesetzt waren, ein um 50 % erhöhtes Risiko besitzen einen Herzinfarkt zu erleiden.
Die Hypothese, dass Verkehrslärm Bluthochdruck verursacht, hat sich in den letzten Jahren verfestigt (allerdings hat die im Oktober 2015 veröffentlichte NORAH-Studie keinen Lärmeinfluss auf den Blutdruck finden können). Entsprechend den Ergebnissen einer früheren UBA-Studie erhöht sich das Risiko für einen behandlungsbedürftigen Bluthochdruck ab einem nächtlichen Schallpegel von 50 dB(A).
Chronische Blutdruckerhöhungen werden im Wesentlichen durch die unter Schlaflaborbedingungen nachweisbare vermehrte Sekretion von Stresshormonen erklärt, zudem wird überlegt, ob die unter Lärmeinfluss messbare Abnahme des Magnesiumspiegels und die damit verbundene Zunahme des intrazellulären Kalziums etwas mit der Blutdruckerhöhung zu tun hat.
Hormonausschüttung
Lärm kann zu erhöhten Konzentrationen an Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol im Blut führen, wodurch der Körper unter Dauerstress steht (siehe unten: “Zusätzliche Informationen”).
Diabetes
Straßenverkehrslärm kann zu einer vermehrten Produktion von Stresshormonen und Schlafstörungen führen. Sowohl Stress als auch die Beeinflussung der Schlafqualität sind mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes verbunden. Daher wird vermutet, dass der Straßenlärm an sich mit einem erhöhten Diabetesrisiko in Verbindung steht.
In einer Langzeitstudie wurde dieser Zusammenhang an einer dänischen Kohorte näher untersucht (Sørensen et al. 2013).Eine 10 dB höhere Belastung durch häusliche Exposition gegenüber Straßenlärm ging mit einem 8% höherem Risiko einer Diabetes-Neuerkrankung einher. Der Zusammenhang war stärker bei langfristiger
Exposition (5 Jahre). Bei Frauen und Personen über 65 Jahren war dieser Zusammenhang tendenziell stärker ausgeprägt.
Ein Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und Diabetes-Neuerkrankungen konnte
bei Personen mit einer Ausbildungszeit von über 10 Jahren nicht festgestellt werden. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass sich Personen mit höherem Ausbildungsgrad größere Wohnungen leisten können und damit leichter ein Schlafzimmer wählen können, welches nicht an einer stark verkehrsbelasteten Straße liegt.Ein Zusammenhang zwischen Schienenverkehrslärm und Diabetes wurde nicht gefunden.
Kognitive Leistungen und Lebensqualität bei Grundschulkindern
In der NORAH-Studie („Noise-related annoyance, cognition, and health“) wurde untersucht, ob gesundheitliche Auswirkungen durch chronische Fluglärmbelastung im Rhein-Main-Gebiet bestehen. Nun liegen die Ergebnisse vor: Sind Kinder am Schulstandort einer chronischen Fluglärmbelastung ausgesetzt, hat dieses Einfluss auf die Leseleistungen (vor allem in den Bereichen Wortverständnis und Textverständnis). Im eingesetzten Lesetest bedeutete dies einen Rückstand in der Leseentwicklung von ca. einem Monat bei einer ansteigenden Fluglärmbelastung um 10 dB.Im Vergleich zu anderen Einflussfaktoren auf das Lesen (z. B. Sprachkenntnisse) ist der Störfaktor “Fluglärmbelastung” relativ gering. Allerdings ist unklar, ob es zu einer langfristigen Verschlechterung der Leseleistung kommt.
Effekte auf die sprachlichen Leistungen konnten in der NORAH-Studie nicht nachgewiesen werden.Statistisch signifikant ist der Einfluss des Fluglärms auf die schulbezogene und gesundheitliche Lebensqualität der Grundschulkinder. Sie beurteilen sowohl ihr Wohlbefinden und ihr Schlafverhalten schlechter, das gilt auch für ihre Schul- und Lerneinstellung.
Lehrkräfte berichteten in Befragungen von hohen Belastungen des Unterrichts durch den Fluglärm. Neben den Lehrern fühlten sich auch Kinder und Eltern durch den Fluglärm am Wohnort und Schulstandort belästigt.In der NORAH-Studie wurden Leistungserhebungen in 85 Schulklassen aus 29 fluglärmbelasteten Grundschulen durchgeführt. Die Dauerschallpegel wurden über einen Zeitraum von 12 Monaten vor Beginn der Datenerhebung gemessen. Der Dauerschallpegel an Schulvormittagen lag im Mittel bei 49,5 dB (Median 50,6). Der Datensatz umfasste 1.243 Kinder, die zum Erhebungszeitraum (Februar 2012) in der 2. Klasse waren. Des Weiteren wurden Befragungen von Kindern, Eltern und Lehrern durchgeführt.
Freizeitlärm
Kinder sind in jedem Alter verschiedenen Lärmquellen ausgesetzt. Im Kleinkindalter spielen Rasseln, viele Spielzeuge und Musikinstrumente für Kinder eine wichtige Rolle; später kommen Spielzeugpistolen, Computer- und Konsolenspiele und schließlich tragbare Musikabspielgeräte und Diskotheken hinzu.
Neben der Schallpegelhöhe spielt auch die Expositionsdauer eine Rolle (“Prinzip der Energieäquivalenz”). Stichprobenartige Lärmmessungen in Diskotheken und bei Life-Musikveranstaltungen zeigen, dass Musikschallpegel zwischen 90 und 110 dB(A) erreicht werden. Ein Trend zu niedrigeren Pegeln ist bisher nicht erkennbar.
Hörschäden
Dabei reicht eine andauernde Belastung von 85 dB bereits aus, um Schäden hervorzurufen. Die Dauer, bis erste Schäden auftreten, hängt zudem von der Lautstärke ab. Bei 135 dB in wenigen Zentimetern Entfernung können Schäden bereits sofort auftreten. Unter diesen Bedingungen kann es zu irreversiblen Schädigungen der für die Sinneswahrnehmung zuständigen Haarsinneszellen und zu Tinnitus kommen (siehe unten: “Zusätzliche Informationen”). Männer und Jungen leiden häufiger an Schwerhörigkeit als Frauen und Mädchen. Eine Gewöhnung an Lärm kann dagegen nur auf mentaler und emotionaler Ebene, jedoch nicht auf organischer Ebene stattfinden.
Das Risiko eines Hörverlusts wird bei tragbaren Musikabspielgeräten geringer eingeschätzt, als bei Discobesuchen/ Musikkonzerten.
Einflüsse von Lärm auf die Kindergesundheit
Die Ergebnisse des Kinder-Umwelt-Surveys (KUS) zeigen, dass 1 von 8 Kindern und Jugendlichen im Alter von 8 – 14 Jahren einen Hörverlust von 20 Dezibel (mindestens in einem Frequenzbereich und mindestens auf einem Ohr) aufweist. Bei 1 von 40 Kindern und Jugendlichen beträgt der Hörverlust bereits 30 Dezibel.
Lärm hat erhebliche Auswirkungen auf die Konzentration von Kindern und ihre Fähigkeit, eine Sprache zu erlernen (FLUGS-Information “Gesundheitsrisiko Lärm”, 2007).
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Autor/innen: Prof. K. E. von Mühlendahl, S. Höppner, M. A. Zuletzt aktualisiert: 17.07.2024