Beurteilungswerte für die Innenraumluft

Verschiedene physikalische, chemische und biologische Faktoren beeinflussen die Innenraumluft. © Rainer Sturm / pixelio.de.Um chemische Verunreinigungen in der Innenraumluft beurteilen zu können, werden vier Bewertungskonzepte unterschieden:

  1. Referenzwerte
  2. Leitwerte
  3. Richtwerte
  4. Grenzwerte 

Referenzwerte

Referenzwerte können als "Hintergrundwerte von Umweltschadstoffen" angesehen werden.

Referenzwerte sind nicht toxikologisch abgeleitet. Es handelt sich um einen rein statistisch definierten Wert. Liegt die Konzentration eines Stoffes unterhalb seines Referenzwertes, bedeutet das, dass „der überwiegende Teil der Bevölkerung in einer vergleichbaren Größenordnung exponiert ist“ (Bekanntmachung des Umweltbundesamtes 2007a).

Leitwerte für die Innenraumluft

Leitwerte sind hygienisch begründete Beurteilungswerte. Sie werden auf der Grundlage von praktischen Erfahrungen festgelegt. Der vorliegende Kenntnisstand reicht hier nicht aus, um toxikologisch epidemiologisch begründete Richtwerte abzuleiten.

Zurzeit gibt es Leitwerte für Kohlendioxid (CO2), die Summe der flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) und lungengängigen Feinstaub (PM2,5).

Leitwerte für CO2

Die Leitwerte für CO2 sind in drei Stufen eingeteilt: 

Stufe

Konzentrationsbereich
in ppm (parts per million, „Teile pro Million“)

Hygienische Bewertung

1

< 1000 ppm

unbedenklich

2

1000 - 2000 ppm

auffällig

3

> 2000 ppm

inakzeptabel

Im Innenraum ist die menschliche Atmung die häufigste Ursache von hohen CO2-Konzentrationen. Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt (NLGA) hat in einer Messreihe in Klassenräumen Höchstkonzentrationen von bis zu 4000 ppm CO2 festgestellt. Regelmäßiges, richtiges Lüften schafft Abhilfe.

Leitwerte für VOC

In dieser Gruppe werden chemisch sehr unterschiedliche, flüchtige organische Verbindungen zusammengefasst. Zu ihnen gehören unter anderem Benzin, Benzol und Toluol. Auch einige Naturstoffe sind dieser Gruppe zugeordnet. Für die Summe der VOC hat die Kommission Innenraumlufthygiene (IRK) Leitwerte in fünf Stufen erarbeitet:

Stufe

Konzentrationsbereich
in mg pro m3 Innenraumluft

Hygienische Bewertung

1

≤ 0,3 mg/m3

unbedenklich

2

> 0,3-1 mg/m3

noch unbedenklich, sofern keine Richtwertüberschreitungen für Einzelstoffe bzw. Stoffgruppen vorliegen

3

>1-3 mg/m3

auffällig

4

>3-10 mg/m3

bedenklich

5

>10 mg/m3

inakzeptabel

Nur für wenige Einzelverbindungen stehen „Richtwerte für die Innenraumluft“ zur Verfügung.

Leitwert für Feinstaub

Für den lungengängigen Feinstaub PM2,5 hat die Kommission einen 24-Stunden-Mittelwert von 25 µg/m3 festgelegt. Er gilt nur in Abwesenheit von innenraumspezifischen Staubquellen.

Geruchsleitwerte

Geruchsleitwerte sind gesundheitlich-hygienische Beurteilungswerte von Geruchsstoffen in der Innenraumluft. Ziel dieses Konzepts ist es, eine geringfügige von einer unzumutbaren geruchlichen Belästigung abzugrenzen Ergebnisse der 2-jährigen Pilotphase des Geruchsleitwerte-Konzepts waren im Sommer 2017 noch nicht abrufbar.

Richtwerte I und II

Die „Richtwerte für die Innenraumluft“ werden von einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Innenraumlufthygiene-Kommission (IRK) des Umweltbundesamtes und der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) erarbeitet. Grundlage ist ein im Bundesgesundheitsblatt veröffentlichtes Basisschema. Es beschreibt, wie die Innenraumrichtwerte abgeleitet werden.

Die Richtwerte sind wirkungsbezogene, begründete Richtwerte. Sie beziehen sich auf die Wirkschwelle eines Stoffes unter Einbeziehung von Unsicherheitsfaktoren.

Richtwerte sind nicht rechtlich verbindlich, können jedoch faktisch (z.B. in Form eines Gutachtens) oder im Vollzug (z.B. unter Bezug auf das Baurecht) justiziabel sein.

Richtwert I (RW I – Vorsorgerichtwert)

Der Richtwert I beschreibt die Konzentration eines Stoffes in der Innenraumluft, bei der nach aktuellem Forschungsstand auch bei lebenslanger Exposition keine gesundheitlichen Risiken zu erwarten sind. Eine Überschreitung des Wertes stellt eine unerwünschte Belastung dar und sollte vorsorglich mit geeigneten Maßnahmen eingedämmt werden. In erster Linie sollte das Lüftungsverhalten überprüft bzw. entsprechend angepasst werden.

Richtwert II (RW II  - Gefahrenwert)

Wenn der Richtwert II erreicht oder gar überschritten wird, besteht akuter Handlungsbedarf. Dies gilt insbesondere, wenn sich empfindliche Personen (z.B. Kinder) dauerhaft in den betroffenen Räumen aufhalten. Überschreitungen des Richtwerts II sind eher selten.

Kriterien zur Ableitung des RW II

Liegen zu einem Stoff nur Ergebnisse aus Tierversuchen vor, lassen sich diese Ergebnisse nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen. Manche Versuchstiere reagieren möglicherweise anders auf die getesteten Umweltstoffe als der Mensch. So kann es beim Menschen zu stärkeren oder schwächeren Auswirkungen kommen.

Zudem sind für den Menschen relevante Effekte wie Befindlichkeitsstörungen im Tierversuch nicht beobachtbar. Um aus den Ergebnissen eine Richtlinie abzuleiten geht man davon aus, dass der Mensch zehnmal empfindlicher ist als das Versuchstier.

In der Praxis heißt das: Die niedrigste Dosis eines verabreichten chemischen Stoffes, bei der im Tierexperiment noch Schädigungen beobachtet wurden (LOAEL – Lowest Observed Adverse Effect Level), wird durch 10 dividiert. Stoffabhängig kann der Faktor, mit dem das Ergebnis aus dem Tierversuch verrechnet wird, kleiner oder größer ausfallen.

Mit Erfahrungen aus der Arbeitsmedizin, die in die Richtwertebestimmung mit einfließen, wird ähnlich verfahren. Zudem muss ein weiterer Faktor mit einberechnet werden, der den Übertrag von der 40-Stunden-Arbeitswoche auf die Dauer-Exposition berücksichtigt.

Grenzwerte

Genau genommen ist die Ableitung von Grenzwerten nur für Stoffe und Umweltnoxen (im weiteren Sinne) mit nachgewiesener Wirkungsschwelle möglich. Der Grenzwert charakterisiert dann die Expositionsgrenze, "unterhalb derer keine Gefährdung zu erwarten ist, bei deren Überschreitung allerdings eine unerwünschte Wirkung nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann" (Sondergutachten des Rats von Sachverständigen für Umweltfragen 1999).

Grenzwerte sind rechtlich verbindlich. Es werden legislative Grenzwerte (auf dem Ergebnis parlamentarischer Prozesse beruhend) und administrative Grenzwerte (bindend für Verwaltung und betroffene Kreise) unterschieden. 

Grenzwerte in der Arbeits- und Umweltmedizin haben dazu beigetragen, die Aufnahme von Schadstoffen in den menschlichen Organismus über Wasser, Luft, Lebensmittel oder Bedarfsgegenstände zu vermindern. Ein klassisches Beispiel ist das "Benzin-Blei-Gesetz".

Stand: 13. Oktober 2020 - 12:12 Uhr

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